Wie geht es dir?
In einem Interview sagte die rumänische Schauspielerin und Schriftstellerin AGLAJA VETERANYI folgenden Satz: „Als ich schon erwachsen war, nach vielen Jahren, fragte mein Vater mich: „Wie geht es dir?“ Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Ich lebe!“
Ich frage mich, was sie da gemeint hat. Wir sagen das ja oft so dahin: „Wie geht es dir?“ Ich kannte mal einen Pfarrer, der fragte jeden: „Wie geht es dir so?“ und man war hocherfreut. Es war wirklich ein lieber Mensch, doch er war überarbeitet. Fiel die Antwort länger als ein Satz aus, war er schon wieder dabei, sich zu Verabschieden. Doch das scheint bei der rumänischen Schauspielerin anders gewesen zu sein. Bei ihr hatten die Worte ihres Vaters großes Gewicht. Alles andere, was das Leben ihr so geboten hatte, hat wohl nicht ausgereicht um das Gefühl zu haben: „Du lebst.“ Endlich nahm sich ihr Vater mal Zeit für sie, und wendete sich ihr ganz zu. Sie muss das Gefühl gehabt haben, endlich einmal von ihrem Vater geliebt und angenommen zu sein.
So ist Gott zu uns; mit dem Unterschied, dass er immer so ist. Er fragt in diesem tiefen Sinn: „Wie geht es dir?“ und wendet sich dir ganz zu. Man hat ja schon gehört, dass Gott einen liebt. Aber mag er auch mich? Geht er auch mit mir durch den Alltag? Ist er dabei, wenn ich auf Arbeit gehe, steht er neben mir, wenn ich die Wäsche aufhänge, und schaut er mir über die Schulter, wenn ich Auto fahre? Gott hatte ja schon Adam gefragt: „Wo bist du eigentlich? Wie geht es dir, ohne mich? Du hast mein Vertrauen losgelassen und bist weggerannt und hast dich versteckt. Jetzt bist du ganz allein.“ Und die Folgen dieses Alleinseins können wir jeden Abend in den Nachrichten sehen. Auch der verlorene Sohn hatte sich bei den Schweinen gefragt: „Lebe ich eigentlich noch?“ und dann machte er sich auf und sagte: „Ich will zu meinem Vater gehen!“ Unterwegs hat er eine ganze Rede auswendig gelernt. (Wenn man Papas Vermögen durchbringt, lernt man besser eine Rede auswendig!) Aber was hat sein Vater geantwortet, als der Sohn vor ihm stand? In etwa hat er gesagt: „Mein lieber Sohn, wie geht es dir? Ich habe auf dich gewartet. Ich bin für dich da. Ich vergebe dir alles, es kann wieder gut mit uns werden. Egal was du getan hast, du bist immer noch mein Sohn.“ Der Vater hat nicht mehr gesagt als „Wie geht es dir?“ und der Sohn wusste: ICH LEBE!
Pfr. Martin Gröschel ist Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Mildenau