Mal wieder das Original erleben
Kürzlich im neuen Erzgebirgsstadion in Aue. Es ertönen Glockenschläge. Die Gladiatoren ziehen ein. Und zehntausend Menschen erheben sich von ihren Plätzen. Musik erklingt und alle stimmen ein: Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt. Die Begeisterung steigt von Strophe zu Strophe. Im Gesang werden die Massen zu einer Einheit.
Das Fußballspiel, was dann folgte, war spannend. Abstiegskampf pur. Aber mindestens genauso spannend war eben der Rahmen des Ganzen: Glockenschläge, Einzug, Gesang - das war wie eine richtige Liturgie. Und ich dachte mir: Die haben das alles nur abgeguckt! Das ist eigentlich nur eine Kopie, gewissermaßen ein Abklatsch von dem, was wir Woche für Woche in den Kirchen tun.
Wie schön, dass ich auch das Original kenne! Dass ich den Ort kenne und liebe, an dem echte Glocken läuten (keine vom Tonband). Dass im Gottesdienst die Musik nicht aus der Konserve kommt, sondern Livemusik gespielt wird. Musik, live und original - von der Orgel, vom Posaunenchor, von Flöten und Instrumenten aller Art. Ich bin glücklich, dass ich an jedem Sonntag in einer Gemeinschaft bin, in der nicht nur der Steiger, nicht nur Herzschmerz und blaublühender Enzian besungen wird, sondern der Schöpfer des Himmels und der Erde. Und ich bin so froh, dass ich gemeinsam mit anderen, mit den unterschiedlichsten Menschen das gleiche Lied singen darf. So unterschiedlich wir sind - in der Kirche singen wir gemeinsam: Fußballfans und Fußballverächter, Junge und Alte, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde, Sportliche und Unsportliche, Sünder und solche, die sich für gerecht halten. Wir sind verschieden. Aber uns vereint eins: die gemeinsame Sehnsucht nach Gott - nach etwas Höherem, das uns aus den Mühlen des Alltags befreit und aufatmen lässt.
Da sage nochmal einer, die Leute heute könnten mit dem Singen nichts mehr anfangen! Das ist überhaupt nicht wahr! Beim Steigermarsch beim Einzug der Veilchen konnte man das ganz deutlich spüren. Was den Leuten wichtig ist, das besingen sie. Woran sie ihr Herz hängen, was ihnen Herzenssache ist, das verehren sie gerne mit einem Lied. Und dabei ist diese Stadion-Liturgie doch nur eine Kopie vom Original. Das Original erleben wir in den Gottesdiensten, die in unseren Kirchen gefeiert werden. Die besinnlichen Tage vor Ostern und das Osterfest selbst sind eine gute Gelegenheit, diese wieder einmal zu besuchen. Und dabei zur Ruhe zu kommen, Gott die Ehre zu geben und sich von ihm berühren zu lassen.
Mit einem herzlichen Glückauf grüßt,
Superintendent Dr. Olaf Richter, Annaberg-Buchholz